Zunächst einmal gestaltete sich die Anreise doch etwas beschwerlich. Denn zu den ohnehin nicht ganz kurzen 8 h Anreisedauer „gesellten“ sich noch geschlagene 2 h, die ich benötigte, um vom Westbahnhof in Wien zu meinem Hotel zu finden, da ich leider vor der Abreise den richtigen Weg dorthin nicht im Internet recherchiert hatte und vor Ort leider feststellen mußte, daß das Auskunftssystem in Wien, was den öffentlichen Personennahverkehr angeht, gelinde gesagt deutlich verbesserungsfähig ist.
Immerhin hält mein Hotelzimmer das, was es laut Internet versprochen hatte. Es hat neben einem Balkon auch noch eine kleine Küchenzeile mit einem Kühlschrank, sodaß ich mir immer selbst etwas zu essen machen kann, und nicht darauf angewiesen bin, beispielsweise das Frühstück im Hotel in Anspruch zu nehmen, welches mit 14 € pro Tag (!) zu Buche schlagen würde (bis auf das eine freie Mal). Und die Internetverbindung funktioniert ganz ordentlich, auch wenn nur 1 h pro Tag kostenfrei ist.
Die Versorgungslage ist hervorragend, sind doch u.a. zwei Supermärkte (Spar und Billa) in unmittelbarster Nähe. Die Preise sind jedoch etwas gewöhnungsbedürftig, liegen sie doch z.T. deutlich über dem Niveau in Deutschland. Auch die Öffnungszeiten sind noch etwas „gemütlicher“. So mußte ich am Ankunftstag (letzten Freitag), als ich kurz nach 20:00 Uhr noch schnell etwas einkaufen gehen wollte, zu meinem Erstaunen feststellen, daß die Läden bereits geschlossen hatten, da sie hier unter der Woche bereits um 19:30 Uhr zu schließen scheinen, und samstags sogar bereits um 18:00 Uhr.
Auch ist die Anfahrt von meinem Hotel zum Wiener Rathaus, wo das Turnier im angeblich „schönsten Turniersaal der Welt“ stattfindet, recht einfach, auch wenn sie mindestens 20 min dauert. Ich muß nämlich einfach nur ein paar Meter gehen, und schon bin ich an der Haltestelle der Straßenbahnlinie 38, fahre mit ihr bis zur Endhaltestelle, laufe noch ein paar Meter, und „schon“ bin ich da. Das Wiener Rathaus ist in der Tat ein großes, schönes und imposantes Gebäude – innen wie außen. Wie man überhaupt sagen muß, daß es eine ganze Menge schöner Bauten hier in Wien gibt.
Momentan ist im Bereich vor dem Rathaus eine große Tribüne aufgebaut, und abends werden mittels einem Beamer Aufzeichnungen von kulturellen Veranstaltungen wie Opern oder ähnlichem wiedergegeben. Zudem gibt es hinter der Tribüne noch einen Bereich mit kulinarischen Köstlichkeiten aus aller Herren Länder.
Kommen wir nun jedoch endlich zum wesentlichen Thema – dem Turnier.
Es gibt vier Turniere – A, B, C und D. Die Hauptattraktion ist naturgemäß das A-Turnier, auch wenn die absoluten Superstars fehlen. So hat die Nummer eins der Setzrangliste, Igor Khenkin, „nur“ eine Elozahl von 2620, jedoch ist das Turnier in der Breite sehr gut besetzt, so bin ich z. B. mit meiner Elozahl von 2300 an 61. Stelle gesetzt.
Der Modus gefällt mir nicht so gut – so wird nicht mit 2 h für die ersten 40 Züge begonnen, sondern mit 1 h 30 min und 30 s Increment pro Zug, was dazu führt, daß man sich bereits zu Beginn der Partie ein wenig in Zeitnot befindet. Denn man hat für 40 Züge maximal 1 h 50 min zur Verfügung, und diese zusätzlichen 20 min muß man sich auch erst einmal erspielen!
Das Turnier selbst begann für mich ergebnistechnisch perfekt, wenn auch die ersten beiden Partien qualitativ recht durchwachsen waren und ich sie nur mit einer ordentlichen Portion Glück gewinnen konnte – so war mein Gegner in der ersten Runde doch tatsächlich so freundlich, mir in für mich verlorener Stellung völlig sinnloserweise einen ganzen Springer so hinzustellen, daß ich ihn zum Umsonsttarif herausschlagen konnte. Auch mein Gegner in der zweiten Runde zeigte sich sehr generös – er toppte sein Vorgänger sogar noch, als er im 40. Zug in noch gewonnener Stellung gar seinen Turm so platzierte, daß ich ihn ungestraft vom Brett entfernen durfte (s. Partie).
In der dritten Runde dann durfte ich ein Brett vier gegen Großmeister und Schachprofi Gerald Hertneck (Elozahl 2551) spielen. Dies war denn auch sogleich – so weit mir bekannt – die erste Partie von mir, welche live im Internet übertragen wurde. Falls jemand die Partie gesehen haben sollte, so könnte er den Eindruck gewonnen haben, daß die Verbindung zwischenzeitlich abgerissen war. Dies ist jedoch nicht der Fall! Ich wurde von Hertneck eröffnungs-theoretisch auf dem völlig falschen Fuß erwischt. Dies führte dazu, daß ich über meinen 4. Zug über 20 min nach-dachte und dieses „Tempo“ bis zum 6. Zug fortsetzte, sodaß ich zu diesem Zeitpunkt bereits 1 h meiner Bedenkzeit verbraucht hatte. Folglich mußte ich den Rest der Partie im Schnellschachmodus bestreiten, umso mehr, als auch Hertneck recht flott spielte. Da jedoch die Stellung glücklicherweise schnell verflachte und Hertneck die sich ihm wenigen bietenden Chancen nicht konsequent zu nutzen vermochte, gelang es mir, den 40. Zug zu schaffen und das nachfolgende Endspiel remis zu halten. Dabei ließ ich in Zeitnot sogar noch eine sehr gute Möglichkeit aus, als sich einen Bauern hätte gewinnen und klaren Vorteil erhalten können, was wohl aber auch nur zum remis gereicht hätte (s. Partie).
In der vierten Runde hatte ich wieder einen Gegner, den ich hätte schlagen m ü s s e n. Leider benötigte ich in der Vorbereitung auf diese Partie zu lange, bis ich mich entschieden hatte, welcher Eöffnung ich gegen ihn spielen würde – das war sein großes Glück! Ich entschied mich dann zwar für die „richtige“ Eröffnung, hatte diese jedoch nicht aus-reichend analysiert gehabt. Dies führte dazu, daß ich mit Schwarz im 13. Zug (!) den einzügigen Gewinn ausließ, und nur zwei Züge später remis anbot, welches akzeptiert wurde. Dies war eine jämmerliche Leistung von mir!
Ich war ziemlich frustriert und enttäuscht von mir, und nahm mir fest vor, die Partie der fünften Runde bis zum bitteren Ende auszuspielen. Dies tat ich dann auch. Mein Gegner war ein deutscher Nachwuchsspieler vom amtierenden Deutschen Meister, der OSG Baden-Baden (sein Name war Michail Petermann, Elo 2149). Er überraschte mich mit seiner Eröffnungwahl, einem selten gespielten Gambit. Oberflächlich betrachtet spielte ich die Eröffnung wie ein Anfänger (so waren vor den ersten neuen Zügen vier mit der Dame), doch ich war bereit, etwas zu riskieren, um meine Spielweise war korrekt. So ergab sich eine spannende Begegnung, in welcher mein Gegner korrekt eine Figur opferte, jedoch spätestens nach einem katastrophalen Fehlzug glatt auf Verlust stand. Da jedoch wenig später an einem kritischen Punkt der einzige Gewinnzug ziemlich absurd war, und ich diesen in Zeitnot zwar kurz angerissen hatte, jedoch nicht ausführte, und er im Gegensatz zu mir die starke Rettung fand, muss ich mich mit einem höchst unbefriedigenden unentschieden zufrieden geben (s. Partie). So ergab es sich nun in der gestrigen sechsten Runde, daß ich diese Partie unter allen Umständen gewinnen wollte und mußte. Ich bekam jedoch wieder einen nicht zu unterschätzenden Gegner – einen gewissen Iskandar Aripov, einen aufstrebenden, 15 -jährigen usbekischen Nachwuchsspieler mit einer aktuellen Elozahl von 2123, zu denen jedoch bei der nächsten Auswertung noch mindestens 67 Punkte hinzukommen sollen. Bei der grundsätzlichen Partievorbereitung erinnerte ich mich an das, was mir einmal ein russischer Meister vor meiner Partie gegen den damaligen U-14 Jugendweltmeister und heutigen Supergroßmeister Kamil Miton gesagt hatte. „You know, how you have to play against little boys!? You have to play positionelly!“ Ich nahm mir vor, es dieses Mal zu beherzigen … . Und tatsächlich – ich tat es! Und es sollte sogar eine praktisch makellos von mir gespielte Partie werden! Zunächst überraschte er mich mit seinem ersten Zug (d4) – in der Datenbank fand ich nämlich ausschließlich Partien, in welchen er mit 1.e4 eröffnet hatte, von einer Ausnahme einmal abgesehen, in welcher er mit 1.d4 eröffnet hatte. Ich vermutete, daß er für seinen Gegner etwas besonderes vorbe-reitet hatte in diesem Fall. Da ich dies auch in meinem Fall befürchtete, verzichtete ich auf mein übliches Eröffnungs-repertoire und hatte etwas Glück, daß er etwas spielte, was ich mir tags zuvor erst noch zur Auffrischung meines Weißrepertoires angesehen hatte! So kannte ich mich im Gegensatz zu ihm einigermaßen gut in dieser Eröffnung aus. So verwundert es denn auch nicht, daß es ihm nicht gelang, die Eröffnung perfekt zu spielen. Zudem verbrauchte er sehr viel Zeit, während ich zunächst noch recht flott spielte. So gelang es ihm mit nur mit Müh und Not, die Zeit-kontrolle zu schaffen, während es mir vergleichsweise komfortabel gelang. Dabei unterlief mir denn auch in völliger Gewinnstellung die einzige kleine Unsauberkeit, welche das Partieende noch etwas hinauszögerte. Letztlich jedoch gewann ich dieses Damenendspiel mit drei gegen einen Bauern souverän (s. Partie). Damit stehe ich momentan bei 4 1/2 Punkten aus sechs Partien, und spiele heute ab 17:00 Uhr gegen IM Hagen Poetsch (Elo 2403). Wer will, kann diese Partie im Internet verfolgen (Brett 14, Live Chess oder auf dem Chessbaseserver). Ich hoffe nur, daß jetzt, nachdem ich euch dazu aufgefordert habe, diese Partie zu verfolgen, sie nicht völlig in die Binsen geht … . Umso mehr hoffe ich jetzt natürlich, daß es eine gute und interessante Partie werden wird, damit Ihr, sofern ihr sie verfolgen solltet, auch eure Freude daran habt!